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„Je mehr darüber gesprochen wird, desto schwerer haben Täter es“
20.11.2025
Interview mit Annika Schalück, FN-Expertin für Prävention sexualisierter Gewalt
Sexualisierte Gewalt ist auch im Pferdesport ein Thema – im Verein genauso wie auf privaten Pferdebetrieben. Kinder, Jugendliche und Erwachsene sollen sich im Stall sicher fühlen. Prävention, klare Regeln und benannte Ansprechpersonen helfen, Risiken zu minimieren und Täter abzuschrecken. Annika Schalück, Leiterin Jugend und Expertin für Prävention sexualisierte Gewalt bei der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN), erklärt im Interview, wie Täter vorgehen, wo sexualisierte Gewalt beginnt und was Vereine und Betriebe tun können.
Frau Schalück, beginnen wir mit dem Grundsätzlichen. Was versteht man unter sexualisierter Gewalt? Wo fängt sie an?
Annika Schalück: Sexualisierte Gewalt meint jede Form von Gewalt oder Machtausübung, die über sexuelle Handlungen oder Anspielungen ausgeübt wird – und immer gegen den Willen der betroffenen Person. Das kann körperlich sein, muss es aber nicht. Sexualisierte Gewalt beginnt nicht erst bei einer Straftat wie sexueller Nötigung oder Vergewaltigung. Schon viel früher können Grenzen überschritten werden: anzügliche Blicke, sexistische oder herabwürdigende Kommentare, unangenehme Berührungen, zu lange „Hilfestellungen“ beim Reiten, Nachrichten mit sexuellem Inhalt oder exhibitionistische Handlungen. All das kann Betroffene massiv belasten – und muss ernst genommen werden.
Und wie gehen Täterinnen und Täter typischerweise vor?
Die Täter handeln immer strategisch und manipulativ. Sie planen ihre Tat häufig über Monate und überlegen genau, wo sie ungestört auf Kinder und Jugendliche zugreifen können – oder wo sie bereits Vertrauen, Anerkennung oder Bewunderung genießen. Häufig suchen sie gezielt Personen aus, die gerade verletzlich sind: Kinder, die sich einsam fühlen, Stress haben oder wenig Unterstützung bekommen.
Dann bauen sie Schritt für Schritt eine Beziehung auf. Oft wirkt das freundlich und hilfsbereit. Grenzüberschreitungen beginnen schleichend: erst zweideutige Kommentare, dann Berührungen, die zu lange dauern, schließlich Situationen, in denen das Machtgefälle ausgenutzt wird. Diese langsame Steigerung macht es für Betroffene schwer, sich abzugrenzen – und für Außenstehende schwerer zu erkennen, was passiert.
Warum sollten sich Vereine und Pferdebetriebe aktiv mit diesem Thema beschäftigen?
Weil überall dort, wo Vertrauen, Nähe und Abhängigkeiten bestehen, auch Risiken entstehen. Der Stall ist ein Ort, an dem Kinder und Jugendliche viel Zeit verbringen, oft ohne direkte Aufsicht. Es ist Aufgabe jedes Vereins und jedes Betriebs, dafür zu sorgen, dass dieser Ort sicher ist. Prävention ist kein Misstrauensvotum gegenüber Engagierten – es ist ein Schutz für alle.
Was können Vereine konkret tun, um ihre Mitglieder zu schützen?
Das Wichtigste ist erstmal: sich informieren und Strukturen schaffen. Die Landespferdesportverbände und Landessportbünde bieten sehr gute Materialien, Schulungen und Ansprechpartner.
Ganz praktisch sollte jeder Verein eine feste Ansprechperson benennen. Diese Person ist geschult, sichtbar kommuniziert und für alle erreichbar. Sie weiß, was im Ernstfall zu tun ist – und allein ihre Existenz schreckt Täter ab.
Außerdem müssen Ausbilder und Ausbilderinnen einbezogen werden: durch Fortbildungen, klare Verhaltensregeln und ein gemeinsames Verständnis, welche Grenzen es gibt und welche nicht überschritten werden dürfen.
Viele Vereine lassen auch erfolgreiche Reiter oder Reiterinnen unterrichten, die keine Trainerlizenz haben. Was ist in diesem Fall wichtig?
Jeder, der mit Kindern und Jugendlichen arbeitet, sollte ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vorlegen – unabhängig von Prominenz oder Erfahrung. Das gilt auch für Betreuer und Betreuerinnen, die zu Turnieren begleiten, Aufsichten übernehmen oder bei Übernachtungsaktionen dabei sind. Entscheidend ist, dass die Regel für alle gleichermaßen gilt.
Wird das von allen akzeptiert?
Wenn es konsequent und einheitlich umgesetzt wird, ist es fast nie ein Problem. Anfangs gibt es manchmal Nachfragen, aber sobald klar ist, dass es dem Schutz aller dient – und eine Verbandsvorgabe ist –, wird es schnell zur Normalität.
Welche weiteren Maßnahmen helfen, Sicherheit im Stall zu schaffen?
Sichtbarkeit ist wichtig. Informationsmaterialien, Poster oder Hinweise am Schwarzen Brett zeigen: „Wir sind aufmerksam. Wir nehmen das ernst.“
Sinnvoll ist auch eine Risikoanalyse: Wo gibt es unbeobachtete Orte? Wo entstehen Situationen, die ausgenutzt werden könnten? Diese Analyse sollte man gemeinsam mit den Mitgliedern erarbeiten – das fördert ein gemeinsames Bewusstsein.
Jede Maßnahme, die Transparenz schafft, schützt: klare Kommunikationswege, klare Regeln, klare Zuständigkeiten. Man sollte sich auch gemeinsam überlegen, wie vorgegangen wird, wenn ein Fall auftritt. Das gibt allen Beteiligten Sicherheit für den Ernstfall.
Ist Prävention vor allem Aufgabe des Vorstands?
Nein, Prävention ist eine Gemeinschaftsaufgabe. Eltern, Trainer und Trainerinnen, Ehrenamtliche, Einstaller – alle müssen hinschauen, reagieren und darüber sprechen. Täter mögen keine Aufmerksamkeit. Je offener das Thema behandelt wird, desto schwerer haben sie es.
Wie sieht das in privaten Pferdebetrieben aus, die keine Vereinsstrukturen haben?
Dort ist es tatsächlich anspruchsvoller, weil klare Rollen fehlen. Dennoch sollten auch private Pferdebetriebe Regeln festlegen – etwa, wie man miteinander umgeht, wie Trainingssituationen gestaltet werden und wen man bei Problemen anspricht. Auch hier gilt: Eine benannte Vertrauensperson schafft Sicherheit und Orientierung.
Gibt es einfache Maßnahmen, die sofort Wirkung zeigen?
Ja. Klein anfangen ist absolut okay. Ein respektvoller Umgangston, transparente Abläufe, klar kommunizierte Stallregeln und das Bewusstsein, dass man sich gegenseitig schützt – das wirkt. Wenn alle wissen, welche Grenzen gelten, werden Übergriffe schneller erkannt und angesprochen. Es geht um eine Kultur, in der sich alle wohl fühlen und respektvoll miteinander umgehen. fn-press/Das Gespräch führte Adelheid Borchardt. Foto: FN-Archiv/ Kaup
Weitere Informationen zu Maßnahmen der FN, zum Betroffenenrat sowie Kontakte zu Beratungsstellen und Anlaufstellen findet man hier.
Seite des PSV Hannover mit Infos und Ansprechpartnern in unserem Verbandsgebiet zum Thema Gewalt-Prävention.
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